
Unzulässige Verfassungsbeschwerden gegen baden-württembergisches Hochschulgesetz
Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat durch Kammerbeschlüsse vom 23. 05.2022 (1 VB 33/18) und 24.05.2022 (1 VB 26/19) zwei Verfassungsbeschwerden, die sich unmittelbar gegen einzelne Bestimmungen des Landeshochschulgesetzes richteten, als unzulässig zurückgewiesen.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführer sind überwiegend Hochschullehrer und wandten sich im Verfahren 1 VB 33/18 gegen Bestimmungen des Landeshochschulgesetzes über die Wahl der Vertreter der Hochschullehrer in den Senaten der Hochschulen und im Verfahren 1 VB 26/19 gegen Bestimmungen über die Wahl und Abwahl der Rektoratsmitglieder der Hochschulen.
Der Senat einer Hochschule setzt sich aus Vertretern der verschiedenen Mitgliedergruppen der Hochschule (Hochschullehrer, akademische Mitarbeiter, Studenten, Doktoranden und sonstige Mitarbeiter) zusammen und ist das zentrale Beschlussorgan der Hochschule. Während bis zum Jahr 2018 die Vertreter der Gruppe der Hochschullehrer im Senat wie die Vertreter der übrigen Gruppen durch hochschulweite Wahlen von sämtlichen Mitgliedern ihrer Gruppe gewählt wurden, sieht das Landeshochschulgesetz nun vor, dass die Senatsvertreter der Hochschullehrer jeweils durch ihre Fakultäten oder Sektionen gewählt werden.
Die Beschwerdeführer im Verfahren 1 VB 33/18 rügten einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Überdies sahen sie ihr Recht auf freie wissenschaftliche Betätigung gefährdet.
Das Rektorat ist das zentrale Leitungsorgan der Hochschule. Die Rektoratsmitglieder werden durch den Senat und durch den Hochschulrat, der mehrheitlich aus nicht hochschulangehörigen Mitgliedern besteht, gewählt. Im Senat verfügen die Hochschullehrer seit 2018 über eine Stimme mehr als alle anderen stimmberechtigten Mitglieder zusammen. Sofern ein Kandidat für das Amt des Rektorats-mitglieds in keinem der Wahlgänge die erforderliche Mehrheit erhielt, sah das Landeshochschulgesetz bis 2020 die Möglichkeit eines Losentscheids vor. Zur Abwahl eines Rektoratsmitglieds vor Ablauf der Amtszeit ist der Senat nur im Falle einer Zwei-Drittel-Mehrheit und nur im Einvernehmen mit dem Hochschulrat und dem Wissenschaftsministerium befugt. Daneben sieht das Landeshochschulgesetz seit 2018 nunmehr aber vor, dass die Hochschullehrer durch eine gruppeninterne Abstimmung ein Rektoratsmitglied abwählen können. Das Abwahlbegehren hat Erfolg, wenn die Mehrheit der Hochschullehrer für die Abwahl stimmt und diese Mehrheit auch in mindestens der Hälfte der Fakultäten oder Sektionen erreicht wird. Die Beschwerdeführer im Verfahren 1 VB 26/19 sehen ihr Recht auf freie wissenschaftliche Betätigung gefährdet, weil sie nicht über effektive Kontrollrechte über das Rektorat verfügten.
Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs
Der Verfassungsgerichtshof wies beide Verfassungsbeschwerden mangels aus-reichender Darlegungen, dass Grundrechte verletzt sein könnten, zurück.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1), der auch Be-standteil der Verfassung des Landes Baden-Württembergs ist (Art 2 Abs. 1), lässt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Hochschulwahlen Differenzierungen sowohl zwischen den einzelnen Mitgliedergruppen als auch innerhalb der einzelnen Gruppen zu, soweit sie dem Charakter der Wahl Rechnung tragen und nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Auch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 20 Abs. 1 LV) schreibt dem Gesetzgeber keine bestimmte Hochschulorganisation vor. Solange er ein hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger der Wissen-schaftsfreiheit sicherstellt, ist er frei, den Wissenschaftsbetrieb der Hochschulen nach seinem Ermessen zu regeln.
Vor diesem Hintergrund sah der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsbe-schwerde 1 VB 33/18 nicht als ausreichend begründet an. Durch die Wahl der Senatsvertreter der Hochschullehrer in ihren Fakultäten wollte der Gesetzgeber die Fächerkulturen im Senat angemessen repräsentieren und den Interessen der Fakultäten hinreichend Eingang in die Beratungen auf zentraler Ebene gewähren. Eine derartige pluralistische Zusammensetzung des Hochschulsenats ist ein legitimer gesetzlicher Zweck, der geeignet sein kann, differenzierende Wahlmodi zu rechtfertigen. Die Aufteilung der Senatssitze der Hochschullehrer unter den einzelnen Fakultäten hat der Gesetzgeber den Hochschulen selbst überantwortet; dabei können auch die unterschiedlichen Mitgliederzahlen der Fakultäten berücksichtigt werden. Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot nicht nachvollziehbar dargelegt. Dass der neue Wahlmodus die Wissenschaftsfreiheit gefährden könnte, war anhand der Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht erkennbar.
Nach der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung entfallen wesentliche wissenschaftsrelevante Entscheidungsbefugnisse nicht auf den mehrheitlich aus Hochschullehrern besetzen Hochschulsenat, sondern auf das Rektorat. Nach dem Ureil des Verfassungsgerichtshofs vom 14. November 2016 (1 VB 16/15) müssen die Hochschullehrer zum Zwecke der Kompensation über effektive Mitwirkungs-rechte bei der Wahl und Abwahl der Rektoratsmitglieder verfügen. Zur Umset-ung dieses Urteils hat der Gesetzgeber seit 2018 die Stimmenmehrheit der Hochschullehrer im Senat gesetzlich vorgeschrieben. Mit ihrer Stimmenmehrheit können die Hochschullehrer einen ihnen nicht genehmen Kandidaten für das Amt des Rektoratsmitglieds verhindern. Der Losentscheid wurde inzwischen abgeschafft, stand aber ohnehin zur Disposition durch eine Regelung in der Grundordnung der jeweiligen Hochschule.
Mit der neu geschaffenen Möglichkeit zur Abwahl eines Rektoratsmitglieds durch eine Abstimmung nur in der Gruppe der Hochschullehrer haben die Hochschullehrer seit 2018 nunmehr auch die Möglichkeit, Rektoratsmitglieder abzuwählen, ohne wie vom Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 14. November 2016 gefordert auf eine Einigung mit den Vertretern anderer Gruppen und ohne auf die Zustimmung eines weiteren Organs oder des Staates angewiesen zu sein. Dass die Regelung im Landeshochschulgesetz dennoch verfassungs-rechtlich zu beanstanden sein könnte, haben die Beschwerdeführer im Verfahren 1 VB 26/19 nicht nachvollziehbar dargelegt.
Durch die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs vom 23. und 24. Mai 2022 wurden jeweils nur die beiden Verfassungsbeschwerden mangels hinreichender Begründungen zurückgewiesen. Ob die angegriffenen Bestimmungen des Landeshochschulgesetzes tatsächlich und in jeder Hinsicht verfassungsgemäß sind, hat der Verfassungsgerichtshof damit nicht entschieden.
VerfGH BW, Beschl. v. 23.05. und 24.05.2022 – 1 VB 33/18 und 1 VB 26/19
Pressemitteilung des VerfGH BW vom 17.06.2022